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Willkommen in Röhrenfurth

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Von den Gerechtsamen

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe


Von den Gerechtsamen derer von Riedesel in Röhrenfurth

Der Zehnte, die Concessionen, Hand-, Spann- und Gehdienste. Die Ablösung dieser Dienste.

Die Röhrenfurther Adelsherren, die Ritter von Röhrenfurth und ab 1432 die von Riedesel besaßen in Röhrenfurth umfangreiche und recht lukrative Gerechtsame (Rechte). Neben dem Zehnten, der überwiegend in der Ablieferung der 10. Garbe in die Zehntscheune bestand, flossen Einnahmen aus den verpachteten Fischwassern Fulda und Breitenbach, aus dem alleinigen Recht, zwei Haufen (2 Herden à 200 Stück) Schafe in der Röhrenfurther Gemarkung und den Waldhuten hüten zu können, aus den Konzessionen der Wirte und Branntweinbrenner, aus den Abgaben der Erb- oder Leimesländer, aus dem Wassergeld der Mühle, aus der Pacht des Schafshofes, aus dem Weinkaufs- oder Thetigungsgeld, sowie aus einem Teil der Steuern, wovon die "allergnädigste Herrschaft" in Kassel 2 die von Riedesel 3 und die von Hundeishausen (1744) 4 Anteile erhielten.
Die oben erwähnten Einnahmen bedürfen einer Erläuterung. "Der Zehnte", der im Anfang in der Ablieferung jeder 10. Garbe in die Zehntscheune bestand, wurde später durch die Ablieferung der entsprechenden Menge Getreide ersetzt und etwa vom Anfang des vorigen Jahrhunderts an "vermaltert", das heißt, der Zehntpflichtige mußte das ablieferungspflichtige Getreide für den eigenen Bedarf mahlen lassen und den Gegenwert in Bargeld entrichten. "Erb- oder Leimesländer" waren Ländereien, Wiesen, Hüten und Triescher, die den Kindern vererbt wurden und in den Steuerkatastern als solche bezeichnet waren. Auf diesen Äckern ruhte eine besondere Abgabe, die in der Ablieferung von 4 Metze der jeweils angebauten Frucht an die von Riedesel bestand. Diese 4 Metze wurden "ein Leimes" genannt. Wurde ein Bauernhof (eine Erbhufe ca. 30 Acker Ländereien) insgesamt vererbt oder verkauft, so war das sogenannte "Thetigungs- oder Weinkaufsgeld" an die Riedesel abzuführen. Der zur Erbübergabe oder bei einem Verkauf erforderliche Vertrag wurde im Mittelalter, nachdem er verbrieft und gesiegelt war, mit einem reichlichen Festmahl, zu dem ein guter, aus dem "Ausland" einzuführender Wein, z. B. aus Franken oder vom Rhein, gehörte, beschlossen. Da alle beteiligten Parteien mit ihren Zeugen bewirtet werden mußten und im Verzehr nicht gerade zurückhaltend waren, kostete allein der Kauf des Weines ein schönes Stück Geld. Man feierte damals (wie auch heute) bei allen Gelegenheiten recht ausgiebig, auch wenn man oft die dazu erforderlichen Mittel nicht hatte. Hochzeiten, Kindtaufen und sogar Beerdigungen waren ein willkommener Anlaß dazu. Landgraf Wilhelm VI. sah sich veranlaßt, gegen diese "Völlerei" vorzugehen, und erließ am 12. Dez. 1654 "eine Erneuerte Ordnung wie es hierfüro mit Eheverlöbnüssen, Weinkauffen, Hochzeiten, Kindtauffen, Gastereyen und Leichbestattungen zu halten" sei. Da man gegen diesen Erlaß nicht verstoßen durfte, erfand man schnell einen Ausweg und ließ sich anstatt des Schmaußes bares Geld auszahlen, eben das Weinkaufsgeld, bei dem man sich sogar besser stand, denn man mußte nicht teilen. Die Riedesel verlangten, nicht wie üblich den 10. Pfennig vom wahren Kaufpreis, sondern nach Abzug des Wertes für die beweglichen Gegenstände und der Erbteile, höchsten 4 bis 5 Reichsthaler (um 1745).
Von besonderer Bedeutung für die Adelsherren waren jedoch die Spann-, Hand- und Gehedienste, die die Einwohner zu leisten hatten. Spanndienste hatten 11 Hufesitze (2 waren befreit) zu erbringen, zu Hand- und Gehediensten waren die Ködder (auch Kötner genannt) verpflichtet. Im Lager-, Stück- und Steuerbuch des Jahres 1744 werden die Spanndienste wie folgt beschrieben: Die aus 8.1/2 Viertel Korn, 1 Viertel Gerste und 7.1/2 Viertel Hafer bestehenden Zehntfrüchte der Riedeselschen Besitzungen in Ochshausen ("Ambts Caßell") mußten in die Vogtei nach Melsungen gefahren werden. "Sie bekommen aber darbey vor sich und ihre Pferde eßen und trinken". Außerdem hatten sie aufgrund eines "getrofenen Vergleichs" 15 Viertel Früchte, und zwar halb Korn oder Weizen und halb Hafer auf beide Häuser nach Ludwigseck zu fahren. Sie bekamen ebenfalls "eßen und trinken darbey für sich und ihre Pferde". Weiter "müßen selbige das Heu auf denen im Dorfe gelegenen 4.1/2 Ackr. 5 r. Wiese so dem dasigen Riedesel Schafereypachter mit verpachtet, demselben einfahren und bestehen solche Ordineire (gewöhnlich) in 4 bis 5 Fuder. Bekommen ebenfalls eßen und trinken darbey".

Aus der Riedeselschen Waldung am Mülmsche Berg (die damals noch bis an den Bach reichte) waren 3 bis 4 Fuder Büsche zum "Abbinden" der Wiesen und Gärten jährlich nach Melsungen zu fahren.

5. "Seyend sie schuldig alle bey erbau und reparirung der Milsungen zwey befindl. Gebäude (die ehemaligen Burgsitze derer von Röhrenfurth und von Riedesel, ab 1449 Riedeselsche Vogtei) und hiesigen sogenannten Riedesel Schäferey erforderl. Fahrdienste zu leisten".

6. "Müßen diese Geschirre haben dem zeitigen Riedesel Ambtsvogt jährl. 7 Ctr. (Klafter) plus ant minus Holtz aus der Riedesel Waldung nach Milßungen fahren".

Die Kötter mußten "ungemeßene" (uneingeschränkte) Hand- und Gehedienste leisten, die darin bestanden, Briefe zu tragen, Zinsen und dergl. in den Ämtern Kassel, Felsberg und Gudensberg einzunehmen sowie das Heu auf den Riedeselschen Wiesen im Dorfe und in Melsungen zu mähen, zu trocknen und einbringen zu helfen. Dafür bekamen sie "satt zu eßen und zu trinken". Auch bei der Reparatur der Melsunger Häuser (siehe oben) mußten sie zur Hand gehen. Wöchentlich waren einige Kötter "die Riedesel Früchte zu Milßungen herumstürtzen" (umzuschaufeln) schuldig. Wiesen und Gärten mußten gereinigt und beschädigte Hecken neu "abgebunden" werden. Für diese Arbeiten "bekommen (sie) jedermahls eßen und trinken ausser bey Gehediensten. Item Bau und fruchtsturtzedienste die person 3 hl. (Heller) der Wagen aber 6 hl.".
Die 11 Hufesitze und der Schäfereipächter Hanß Curt Nadeler waren von den Kötterdiensten befreit, sie mußten aber "neben ihrem naturaldienste noch Dienstgeld und zwar in Summa 14 Rthl. 7 Alb. an erml. von Riedesel zahlen". Der dem Landgrafen (der Allergnädigsten Herrschaft) zustehende "Feldzehnte" für 199 Acker Feld und der "Struth-Zehnte" für 10.1/2 Acker Triescher war schon verhältnismäßig früh "vermaltert" worden und erbrachte (1840) 65 Thaler, die an die Renterei Melsungen gezahlt werden mußten. Der Zehnte wurde jeweils vor der Ernte geschätzt und dann bar bezahlt.

All diese Dienste waren für die Röhrenfurther Einwohner schon eine erhebliche Belastung, und man atmete auf, als ein Gesetz vom 25. Juni 1832 vorschrieb, die Zehnten, die Erbgeschosse (z.B. die "Leimesabgabe" beim Tode des Familienoberhauptes), die Dienstgelder und die Triftabgaben abzulösen. Riedeselscher Amtsvogt war in der Zeit der Melsunger Rechtsanwalt Karl Baumann, der 1835 Melsunger Bürgermeister wurde.
Abgelöst wurden die den von Riedesel zustehenden "Gefälle" aber erst in den Jahren 1849 bis 1852; und die der "allergnädigste Herrschaft" (Renterei Melsungen) zustehenden Abgaben in den Jahren 1846 bis 1852.
Um 1820 stand denen von Riedesel noch der Zehnte von 459 Acker Feld und Wiesen zu. Das Dorf hatte damals insgesamt 36 Viertel Korn und 53.1/2 Viertel Hafer als Naturalabgaben oder, sofern bereits "vermaltert", den Verkaufswert davon und 100 Reichsthaler Dienstgeld der Bauern zu entrichten. Außerdem war es mit 273 Thaler Contribution und 103 Thaler Schuldensteuer, die an die Renterei Melsungen bezahlt werden mußten, belastet.
Die Dienste, die den Adelsherren zugestanden hatten, waren zwar abgelöst, aber keineswegs abgeschafft worden. Da die Gemeinde Röhrenfurth nie mit besonderen Reichtümern gesegnet war, sind auch nach dem 1. Weltkrieg, bis in die 30iger Jahre noch Hand- und Spanndienste verlangt worden, so z. B. bei der Kanalisierung des Breitenbaches. Man trug sich selbst 1949 beim Bau der Friedhofskapelle mit dem Gedanken, auf diese alte Form der gemeinschaftlichen Dienstleistungen zurückzugreifen.

Ein Röhrenfurther hatte folgende, auf dem Haus, den Erbländern und seinen Rodeländern ruhende Dienste und Abgaben abgelöst, und zwar:

Johannes Steube
Ein Haus zw. Baltzer Pfeiffer und Jacob Geiers rel.ist ein Ködersitz

1 Rauchhuhn in die Renterei Melsungen
1 Huhn denen von Riedesel
2 Alb. 6 Hlr. Grundgeld denselben
10 Alb. Dienstgeld denselben
Thut denselben auch die in der
Vorbeschreibung § 34 gemeldeten
Hand-und Gehedienste

Erbhudentriescher am Steinwald

Wegen der 10ten Garbe, gnädigste Herrschaft

Erbland auf dem hintersten Griechenberg

1/4 Hahn denen von Riedesel
Die 10te Garbe denselben

Erbwiese im Breitenbach

3 Hlr. in Kurfürstliche Renterei Melsungen

Erbwiese im Habersroth

6 Hlr. an Gnädigste Herrschaft
1/4 Gans an Gnädigste Herrschaft

Rottland am Stückewege = 14 Alb. 3 hlr. Grundzins

22 Alb. 2 Hlr. in die Renterei Melsungen

in der Schwarzenberger Gemarkung:
Erbland der Rudelof im Lachen

Die 10te Garbe an gnädigste
Herrschaft.
1 Metze Homberg.
Ms. unständige Frucht in die Renterei

In der Melsunger Gemarkung: Erbland am Geisengraben

In die Frühmeß zu Melsungen 6 Heller sonst zehntfrei



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die den Riedesel zu erbringenden Dienste und Abgaben waren mit einem Steuerkapital von 5 Fl. (Gulden) 10 Alb. 1 Hlr. veranschlagt und wurden mit Vertrag vom 31. März resp. 7. April 1851 mit 66 Rthl. 20 Sgr. Entschädigungskapital abgelöst. Von dieser Summe hatte sich der Eigentümer 60 Rthl. bei der Kurfürstlichen Landeskreditkasse (Kassel) erborgt. Das Haus und die Ländereien waren Gegenstand eines am 26. März 1840 abgeschlossenen "Erbenvertheilungscontracts". Der Freiherrlich Riedeselsche Amtsvogt Baumann bestätigte am gleichen Tage: "Die beabsichtigte Übertragung der vorstehenden, den Freiherrn Riedesel zinspflichtigen Grundstücke auf... ist dahier angezeigt worden. Abgaben stehen nicht zurück."
Der Eigentümer erhielt in diesem Vertrag insgesamt 27 verschiedene Grundstücke, darunter 18 "Erbgrundstücke, die zehnt-, zins- oder dienstpflichtig waren, sowie 5 dienstfreie "Gemeinds"grundstücke.
Schon dieses Beispiel verdeutlicht, daß die Ablösung der Dienste und die "Verkuppelung" unbedingt notwendig waren.

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