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Willkommen in Röhrenfurth

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Der zweite Weltkrieg

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Der Zweite Weltkrieg
Vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945

“Seit heute morgen 4.45 Uhr wird zurückgeschossen!" Mit diesem Satz in Hitlers Rede vom 1. September 1939 zerstob auch der letzte Funke Hoffnung auf eine vielleicht doch noch mögliche Verhinderung eines Krieges, den die große Mehrheit der Deutschen nicht wollte; von einigen Fanatikern abgesehen. Die Deutsche Wehrmacht war in Polen einmarschiert. England und Frankreich erklärten -nachdem ein Ultimatum abgelaufen war- am 3. September Deutschland den Krieg. Polen wurde innerhalb von drei Wochen überrannt; alle Soldaten aus Röhrenfurth, die am „Polenfeldzug" teilgenommen hatten, kehrten unversehrt zurück.
Die Deutschen, die an der Grenze zu Frankreich, vor dem sogenannten Westwall, wohnten, wurden „zurückgeführt". Vor allem die Dörfer waren aufgefordert worden, Quartiere für diese Familien vorzubereiten. Anfang Oktober 1939 kamen dann die ersten Einzelpersonen und Familien nach Röhrenfurth. „Zur Unterbringung wurde das Judenhaus des Levi David geräumt, der lt. Anweisung des Landratsamtes in das Kleeblattsche Haus in der Quergasse zog". Im Spätherbst fanden annähernd 100 Saarländer vorwiegend aus Saarbrücken und Umgebung eine vorübergehende Heimat in Röhrenfurth. „Schwierig gestaltete sich die Herbeischaffung der Betten, des notwendigen Hausrates, des Heizungsmaterials, der Lebensmittel u.s.f. NSV, Bürgermeister, Ortsbauernführer und Frauenschaftsleiterin bewältigten auch diese Aufgabe". Kurz vor Weihnachten wurde hier noch eine Kompanie Soldaten zusammengestellt. Sie lag in Bürgerquartieren und im Saal der Gastwirtschaft. Nach den mit den Dorfbewohnern verbrachten Weihnachtstagen und einem Soldatenball rückten die Soldaten am 8. Januar 1940 ab.
Der Winter 1939/40 war besonders kalt. Er brachte starken Schneefall und Temparaturen von Minus 27°C, in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar sogar 34°C unter Null. Die ersten Engpässe in der Versorgung mit Kohlen traten auf. Die Verteilung des Brennmaterials mußte oft auf offener Straße im heftigsten Schneetreiben vorgenommen werden. Die Wasserleitungen froren ein, und das Wasser holte man aus den wenigen Zapfstellen, dem Mühlenbach und der Fulda. Viele Obstbäume erfroren, das Wintergetreide hatte aber unter der dichten Schneedecke wenig gelitten.
Von Mitte Februar bis Mitte Mai quartierten sich Sanitätstruppen in Röhrenfurth ein.
Im Frühjahr 1940 besetzten deutsche Truppen Dänemark und Norwegen, Frankreich hatte am 25. 6. 1940 kapituliert. Die aus dem Saarland nach Röhrenfurth Zurückgeführten kehrten im August 1940 wieder in ihre Heimat zurück; nur zwei, ein junger Mann und ein Mädchen blieben hier und heirateten später. Der Krieg wurde in immer mehr europäische Staaten getragen; Jugoslawien, Albanien, Griechenland und die Insel Kreta gerieten unter deutsche Besatzung, in Nordafrika kamen deutsche Truppen unter Feldmarschall Rommel den zurückweichenden Italienern zu Hilfe und rückten bis über die ägyptische Grenze vor.
Im Juni 1941 begann der „Rußlandfeldzug", um den „Lebensraum der Deutschen" im Osten endgültig zu sichern. Nach anfänglich großen Siegen in „gewaltigen Kesselschlachten" machte der Winter 1941/42, der bereits im Oktober begann, dem „unaufhaltsamen Vormarsch" ein Ende. Erstmals mußten „Frontabschnitte begradigt" werden. Nach dem Verlust der „Festung Stalingrad", in der eine ganze deutsche Armee fiel, erfror und in russische Gefangenschaft geriet (auch zwei Röhrenfurther waren darunter, einer fiel bereits im September 1942, der andere im Januar 1943) galt für viele der Krieg als verloren und sein Ende in Sicht. Unter den deutschen Soldaten verbreitete sich die als Galgenhumor anzusehende Parole: Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück! Die „an der Heimatfront" kämpfenden Parteigrößen ersannen immer neue Durchhalteparolen; immer neue Sammlungen wurden angeordnet, Buntmetalle waren besonders gefragt; alles was nicht zum täglichen Gebrauch benötigt wurde, sollte als „Metallspende" dem Vaterlande und den „hart kämpfenden Soldaten" dargebracht werden.
Nach dem Winter 1941/42, der wieder viel Schnee und Kältegrade bis 35°C gebracht hatte, waren große Teile der Winterfrucht erfroren. Die Rationen der bereits Anfang des Krieges ausgegebenen Lebensmittelkarten wurden immer geringer, das „Ablieferungssoll" der „Selbsterzeuger" ständig erhöht. Die Landwirtschaft betrieben fast nur noch die Bäuerinnen, Kinder und die noch nicht eingezogenen älteren Jahrgänge. Immer mehr Frauen wurden in die Fabriken „dienstverpflichtet", Jungen, kaum dem Schulalter entwachsen, bedienten die Flakgeschütze der Heimatbatterien, junge Mädchen taten Dienst „auf" den Schreibstuben der Heimattruppenteile, die über 40-jährigen bewachten die Lager der Kriegsgefangenen. Ende 1943 waren bereits 14 Röhrenfurther Männer gefallen, alle in Rußland.
In 1943 begannen die Röhrenfurther mit dem Bau von Luftschutzstollen, um vor den immer häufigeren Luftangriffen ein wenig Sicherheit zu haben. Man fing an drei Stellen im Dorf gleichzeitig an zu minieren. Zwischen den Häusern Seitz und Weber grub man einen Stollen in den Kriegenberg und befestigte ihn zusätzlich mit Beton; sechs bis sieben Meter kamen die zu dieser Arbeit Befohlenen voran. Einen zweiten Stollen trieb man, vom Hofe Kilian (Bachstraße) beginnend, in den Kriegenberg, mit dem dritten wurde hinter dem Hause Holzhausen (Dittmar) begonnen, er sollte bis zur jetzigen Weserstraße vorgetrieben werden. Am vierten Stollen schließlich gruben die Röhrenfurther gegenüber dem Hause Fehr in der Bergstraße, er sollte in der „alten Höhle" enden. Keines dieser „Werke" konnte jedoch vollendet werden. Nur einer wird heute noch als Keller benutzt; an die anderen erinnern nur noch die kaum erkennbaren Eingänge, die längst eingestürzt oder zugeschüttet sind.
Immer häufiger heulten die Sirenen auch in Röhrenfurth auf und „zeigten Fliegeralarm an". Aus den Großstädten suchten mehr und mehr Mütter mit Kleinkindern Schutz auf dem Lande, teils waren sie „evakuiert" oder „fliegergeschädigt". Riesige Bomberschwärme suchten vor allem nachts die Großstädte heim. Die deutsche Luftabwehr war machtlos. Auch Kassel hatte bereits einige Luftangriffe erlebt. Die Nacht des 22. Oktobers 1943 wird aber allen, die sie überlebt oder erlebt haben, ins Gedächtnis eingebrannt bleiben. Eine Großstadt versank innerhalb weniger Stunden in einem Inferno aus Bomben und Feuer in Schutt und Asche. Den Rettungsmannschaften bot sich am nächsten Morgen ein entsetzlicher Anblick. Tote über Tote, verbrannt, verstümmelt, in den Kellern erstickt und verschüttet. „Und dann kamen sie zu uns, die aus Flammen und Trümmern nur ihr Leben gerettet hatten, zerstört, zerschlagen, niedergeschmettert, vernichtet." So schildert der Röhrenfurther Lehrer Otto Riemenschneider die Tage nach dieser Katastrophe. Jedes freie Zimmer in Röhrenfurth wurde belegt, Kammern und Böden ausgebaut, um sie bewohnbar zu machen. Auch bei uns entstanden die ersten „Behelfsheime", kleine Häuschen, überwiegend aus Balken und Brettern gezimmert.
Im Jahre 1944 mußten sich die deutschen Soldaten ständig weiter zurückziehen. Um die vorrückenden russischen Truppen aufzuhalten, wurden alle verfügbaren Kräfte der Ostgebiete und aus dem Reich — auch der Röhrenfurther Lehrer Riemenschneider mußte einrücken — zum Bau eines "Ostwalles" aufgeboten. Die russischen Panzer sollten durch eilig ausgehobene tiefe Gräben und primitive Sperren gestoppt werden.
Welche Illusion! Denn Ende des Jahres standen "die Feinde" bereits an den deutschen Grenzen in Ost und West. Aus den Ostgebieten flohen die Menschen in großen Trecks im eisigen Winter nach „Westen"; und dort tönten die NS-Größen noch immer vom „Endsieg" und versprachen den Einsatz von Wunderwaffen, die bald alles wieder zum Guten wenden würden. Die Deutschen müßten nur „durchhalten".
Ende Oktober 1944 griffen „Tiefflieger" einen vor dem Dorfe haltenden Zug an, hierbei gingen durch Leuchtspurgeschosse die Scheunen und Stallungen der Höfe Ackermann und Moog in Flammen auf, das Vieh konnte gerettet werden, Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden. Die Bahngeleise waren schon früher mit Bomben beworfen worden; unser Dorf selbst aber blieb verschont.
Das Jahr 1945 begann ohne Hoffnung, alle sehnten das Ende dieses Krieges herbei. Lassen wir uns die letzten Kriegstage, wie sie die Röhrenfurther erlebten, von einem Augenzeugen berichten. Otto Riemenschneider schildert sie so: „Am Ostersonnabend dem 31.3.1945 fuhren, durch den Quiller kommend, die amerikanischen Panzertruppen auf den umliegenden Höhen über Röhrenfurth und am linken Fuldaufer auf. Ein deutsches Sprengkommando führte trotz aller Bitten unsererseits und unserer Hinweise auf die Sinnlosigkeit ihres Vorhabens und Auftrages die Sprengung der Brücke durch. Danach verließen die wenigen noch hier weilenden deutschen Soldaten das Dorf. Die amerikanischen Soldaten wateten durch die Fulda und drangen ins Dorf und die Häuser ein. Französische Kriegsgefangene und polnische Arbeiter des Sägewerks trugen ihnen die weiße Fahne entgegen. Auch die Bewohner hingen weiße Tücher und Decken zum Fenster hinaus, um damit anzudeuten, daß keinerlei Widerstand geleistet würde". Er schilderte noch, daß die amerikanischen Soldaten die Häuser nach Waffen durchsuchten, sich, abgesehen von kleinen Übergriffen,human benahmen und sich bald wieder in die Wälder auf der linken Fuldaseite zurückzogen. Aus dem Mülmischtal kommend, zog noch eine SS-Einheit mit Panzern ins Dorf ein. Ihre Weiterfahrt war durch die gesprengte Brücke verhindert. Durch Zufall wurden sie nicht von den Amerikanern beschossen. Die Röhrenfurther aber rechneten mit dem Schlimmsten. Denn wäre es zu Kampfhandlungen gekommen, wäre das Schicksal des Dorfes besiegelt gewesen. Otto Riemenschneider berichtet weiter: "So verließen die Dorfbewohner, mit dem notwendigsten Hab und Gut beladen, das Dorf und flüchteten in den Riedforst. Die Bauern fuhren mit vollbeladenen Wagen, die anderen mit Handwagen und Karren in die Schluchten des Hospitalsgrundes, um dort das weitere Geschehen abzuwarten. Zum Teil wurde das Vieh mitgeführt. Im Morgengrauen des 1. April (Ostertag) verließen die deutschen Panzer das Dorf, ohne Kampfhandlungen aufzunehmen und setzten sich durch das Mülmischtal ab. Gegenüber der feindlichen Übermacht -rundum auf den Höhen des Quillerwaldes standen die amerikanischen Panzer- unterblieb der Widerstand auf deutscher Seite, man zog den Rückzug vor. Diesem günstigen Umstände verdankt das Dorf seine Rettung vor dem Untergang und der Verwüstung. 1200 Menschen blieb die Heimat erhalten. Sie kehrten glücklich in ihre verlassenen Wohnungen zurück und fanden alles wohlbehalten vor". Bei der Brückensprengung waren an den umliegenden Häusern zwar teilweise die Fensterscheiben oder gar ganze Fenster vom Luftdruck zerstört und Ziegeln abgedeckt worden; der Schaden hielt sich aber in Grenzen. Die Amerikaner beschossen vom Quiller her einige versprengte deutsche Soldaten, dabei brannte die Aschenbrennersche Feldscheune in der Lache ab und durch Leuchtspurgeschosse entstand auf dem Boden des neuen Schulhauses ein Schwelbrand, der aber, bevor größerer Schaden entstehen konnte, gelöscht wurde.
Die Amerikaner beschlagnahmten einige Häuser in der Bergstraße und "Hinter den Höfen"; ihre Bewohner fanden bei Nachbarn einen provisorischen Unterschlupf, konnten aber bald wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Für Röhrenfurth war damit der Krieg zu Ende, an seinen Folgen litt es jedoch noch sehr lange.
Erst nach einem weiteren Monat, am 8. Mai 1945 unterschrieben die deutschen Generale die bedingungslose Kapitulation. Zuvor hatte der "Führer" in Berlin im Bunker der Reichskanzlei seinem Leben ein Ende gesetzt. Das "Dritte Reich" war in einem Chaos ohnegleichen versunken.

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