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Willkommen in Röhrenfurth

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Der erste Weltkrieg

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Der Erste Weltkrieg

Weitere drei Jahre später ging eine bis dahin nie erlebte Friedenszeit von mehr als 40 Jahren jäh zu Ende. Am 28. Juni 1914 ermordete ,,ein Mitglied einer serbischen Verschwörerbande" den österreichischen Thronfolger und seine Gemahlin.
Das war der äußere Anlaß zum Ersten Weltkrieg, dessen Beginn der Chronist Ackermann in Röhrenfurth folgendermaßen schildert: ,,. . . der 31. Juli fiel auf einen Freitag. Nachmittags 2 Uhr kam hierher die telefonische Meldung, den Geheimbrief zu öffnen. In demselben stand, daß der Kriegszustand erklärt sei. Große Bestürzung herrschte hierüber, denn die meisten glaubten, es sei das schon die Mobilmachung. In größter Eile und Bestürzung lief der Gastwirt Wiegand, welcher Inhaber der hiesigen Fernsprechstelle ist, in die Lache, um den Bürgermeister Nödel, welcher hier auf dem Felde beschäftigt war, zu rufen. Letzterer ließ dann auch in der ersten Bestürzung bekanntmachen, die Mobilmachung sei erklärt. . . Dumpfe erwartungsvolle Stille herrschte schon den ganzen Tag in unserem Dorfe. Immer noch hoffte man, die dunklen gewitterschweren Kriegswolken würden sich verteilen und die goldene Sonne des Friedens noch einmal durchbrechen lassen. Gruppenweise standen unsere Männer, Frauen und Kinder mit sehr ernsten erwartungsvollen Mienen auf den Straßen und unterhielten sich in gedrückter Stimmung über die ernste Lage . .." Mit bewegten und bewegenden Worten schilderte er die aufregenden Tage der Mobilmachung, den Abschied der einberufenen Röhrenfurther Männer, den Mut, den sich Soldaten und Daheimgebliebene selbst machten, welche siegessicheren Parolen die Soldaten auf die Waggons gemalt hatten, daß die Spionagefurcht umging und die Krebsbrücke und Fuldabrücke Tag und Nacht bewacht wurden, daß man Autos kontrollierte, um ein angekündigtes Agentenpaar zu fassen, und den Jubel nach der siegreichen Schlacht bei Tannenberg und der Befreiung Ostpreußens von den eingefallenen Russen.
Er berichtet auch in einem besonderen Kapitel vom ,,Anteil der Gemeinde und der Schuljugend an der Liebesarbeit für unsere Krieger". Im Melsunger Bahnhof war eine Verpflegungsstation für die Truppentransporte eingerichtet worden. Alle Nachbarorte beteiligten sich mit Spenden und Sammlungen, um den Soldaten einen Liebesdienst zu erweisen. Kaffee, Tee, Schokolade, Zigarren, Brot, Butter, Wurst, Eier, Hülsenfrüchte, Obst wurden in überreichem Maße gesammelt und verteilt.
,,Für unsere braven Soldaten hatten wir alles übrig. In dem ersten Liebeseifer ist wohl hierbei viel zu weit gegangen worden, denn die Truppen waren übersättigt. ... Es soll viel Brot mit den Pferden gefüttert oder in den Gepäcknetzen aufgespeichert worden sein. Ach! daß damals niemand daran gedacht hat, daß eine Zeit kommen mußte, wo wir das liebe Brot so hoch nötig hatten." Aber auch für die Angehörigen der Soldaten sammelte man Geld. Die erste Sammlung brachte 256 Mark, eine weitere 480,35 wovon allerdings das Rote Kreuz 300 Mark erhielt. Außerdem trugen die Röhrenfurther Frauen und Mädchen 48 Paar Strümpfe, 30 Kopfschützer, 28 Paar Pulswärmer, 12 Paar Kniewärmer, 1 Leibbinde, 42 Hemden, 12 Bettücher, 12 Bettbezüge, 6 Kissenbezüge, 5 Dtzd. Taschentücher, 3 1/2 Dtzd. Handtücher, 1 Dtzd. Verbandtücher, 1 Unterhose, 25 Federkissen mit Bezügen, 3 große Wolldecken und 4 Frauenhemden (letztere für die Ostpreußen) zusammen.
Aber auch Trauer und Not waren bereits in einigen Röhrenfurther Familien eingekehrt, die ersten Gefallenennachrichten hatten sich in Windeseile verbreitet. August Steinbach, der Sohn des Wirtes Otto Steinbach, war schon am 20. 8. 1914 in Ostpreußen schwer verwundet und erst später von seinen Kameraden tot aufgefunden worden. Am 26. Sept. 1914 fiel Johann Holzhausen, Sohn des Zimmermeisters Heinrich Holzhausen, bei Focasecourt in Frankreich. Bis zum Jahresende hatten bereits sechs Familien ihre Söhne oder Väter verloren. Die Unterstützung der Familien der Eingezogenen war kärglich, die Ehefrau erhielt monatlich 9 Mark, in den Wintermonaten 12 Mark und jedes Kind 6 Mark. ,,Der Inhalt der in der Kirche aufgehängten Missionsbüchse wurde seit Beginn des Krieges zur Unterstützung der bedürftigsten Angehörigen von Kriegsteilnehmern bestimmt." Zu Weihnachten des ersten Kriegsjahres erhielten insgesamt 12 Frauen je 5 Mark und zu Ostern des Jahres 1915 nochmals 8 Frauen wieder je 5 Mark.,,Mangel oder gar Not hat niemand gelitten, zumal doch auch die meisten Haus, Garten oder Grundbesitz oder doch wenigstens etwas Pachtland und Vieh haben“.

Lebensmittelkarten waren eingeführt worden. Wer kein eigenes Getreide erntete, erhielt für seine Brotkarten täglich 250 Gramm Brot, Männer, die auswärts arbeiteten, erhielten Zusatzkarten mit 250 Gramm Brot die Woche. Zucker und Fleischkarten folgten bald.
Die Regierung verfügte immer neue Bestandsaufnahmen für Getreide, Kartoffeln und Schweine und erhielt jedes Mal unzutreffende Angaben. Das Schwein wurde als ,,größter Feind" des Volkes angesehen, weil es ,,sich von allem nährt, was der Mensch zur Nahrung braucht". Es wurde angeordnet, daß alle Schweine von 1 Ztnr. und mehr Schlachtgewicht verkauft werden mußten, um Dauerware und Konserven daraus herzustellen. Die,,Dauerware" hielt sich nicht und große Mengen verdarben.
Im Herbst 1915 wurden große Vorräte an Kartoffeln in den Großstädten gelagert, die Folge davon war, daß im folgenden Sommer erhebliche Mengen verdarben. Man hätte also die Schweine weiter füttern können. Im Herbst 1915 kosteten: Schweine 175—180 Mark pro Ztnr. Schlachtgewicht, ein Pfd. Schmalz 2,50, Butter 2,80, 1 Steige Eier 3,60, 11 Rüböl 3 Mark, ein Huhn 3 Mark, eine Gans ,,von der Gasse" 10 Mark.
Das Jahr 1915 hatte noch eine sehr gute Kartoffelernte gebracht. 1916 war jedoch ein sehr nasses Jahr und man erntete weniger als die Hälfte des Vorjahres. Es konnten zuletzt nur noch 3 Pfund pro Person und Woche zugeteilt werden. ,,Daher mußten im Frühling 1917 die letzten Kartoffeln herausgeholt werden. Eine amtliche Kommission ging von Keller zu Keller u. schätzte die vorhandenen Vorräte ab. Es wurden jedem pro Acker 10 Ctnr. Pflanzkartoffeln und die ihm auf die Zahl seiner Familienmitglieder zustehenden Speisekartoffeln belassen." Das Verfüttern von Kartoffeln war streng verboten, die Getreidereserven waren erschöpft, auch Hülsenfrüchte, die bisher aus Rumänien eingeführt worden waren, wurden knapp (Rumänien war in den Krieg eingetreten). Im Winter 1916/17, der als ,,Kohlrübenwinter" in die Geschichte des Krieges einging, herrschte, vor allem in den Großstädten, fast Hungersnot. ,,Kohlrübenmarmelade aufs Morgenbrot, Kohlrübengemüse zu Mittag, Kohlrübensuppe als Abendbrot" so schildert es Lehrer Ackermann in seiner damaligen Chronik. Die Not wurde immer größer. Bis Ende 1917 waren 21 Männer aus Röhrenfurth gefallen. Die Schulkinder sammelten Altmaterial jeder Art, sie mußten bei der Ernte helfen, und sie wurden überall als Hilfskräfte eingesetzt. So begann das letzte Kriegsjahr 1918. Von der Front kamen immer schlechtere Nachrichten. Amerika war in den Krieg eingetreten, die deutschen Truppen mußten immer häufiger Frontabschnitte "begradigen". Der völlige Zusammenbruch war vorauszusehen. Unter den Soldaten wurden mehr und mehr Unzufriedenheit und Unwillen spürbar, ebenfalls in den Fabriken, in denen Frauen die Stelle der eingezogenen Männer übernommen hatten. Die Ernährung wurde schlechter, und der Hunger war ein alltäglicher Begleiter. Im Herbst überfiel dann noch die ,,Spanische Krankheit", eine Grippeepidemie, die Soldaten und die Menschen zu Hause, deren geschwächte Körper kaum noch Widerstandskraft besaßen. „Die Krankheit, die bis dahin gutartig zu verlaufen schien, forderte nun auch ihre Opfer. In der Woche vom 10. bis 17. November (1918) waren, was wohl noch nie dagewesen ist, 7 Beerdigungen, und in vielen Familien lagen fast alle schwerkrank“.
Am 9. November 1918 hatte sich ,,der Kaiser und König entschlossen, dem Thron zu entsagen" und am 10.11. teilte der Arbeiter- und Soldatenrat aus Berlin mit: In Maastrich sind im Kraftwagen der frühere Kaiser, die Kaiserin und der Kronprinz eingetroffen und erwarten dort die Entscheidung der holländischen Regierung über ihre Zulassung in Holland.
Der Krieg war verloren, und die Kaiserzeit hatte ein unrühmliches Ende gefunden. Aus Röhrenfurth waren 33 Männer nicht zurückgekehrt. Sie waren gefallen oder in Lazaretten verstorben, zwei blieben vermißt. In ihren Familien herrschte Trauer und bei manchen bittere Not.

Chronik 800 Jahre Seite 117

 
chronik_s118Am 10. Juli 1921 weihten die politische Gemeinde und die Kirchengemeinde ein Ehrenmahl für die Gefallenen und Vermißten mit einer würdigen Feier ein. In einem Zeitungsausschnitt des Melsunger Tageblattes lesen wir: ,,Eine ernste Feier hatte gestern fast die ganze Gemeinde auf dem Kirchhofe versammelt. Es sollte ein Ehrendenkmal eingeweiht werden für die, die für Deutschlands Ehre gestritten und ihre Treue gegen das Vaterland mit dem Tode besiegelt haben. Nach dem Eingangslied: ,,Ich bin ein Gast auf Erden" hielt Herr Pfarrer Biel-Weidelbach die Gedächtnis- und Einweihungsrede. Er gedachte in seiner Rede der Liebe Gottes, die unser Vaterland bewahrt vor den Schrecken des Krieges, der Liebe der Gefallenen, die mit Heldenmut ihr Herzblut freudig dahingegeben. Sie zu ehren, sei dieser schlichte Gedenkstein gesetzt worden. Er tröstete die Hinterbliebenen, still zu sein und in Gott ihren Trost zu suchen. Wie der Tod Christi am Kreuz nicht vergebens gewesen sei, so würden auch nicht umsonst gewesen sein die Opfer, die unsere tapferen Krieger für uns gebracht haben.
Darauf sangen die Schulkinder das Lied: „Wie sollen wir euch danken, ihr Helden schwerer Zeit". Von einigen Schulkindern wurden noch Gedichte in verständnisvoller Weise vorgetragen." Herr Martin las die Namen der Gefallenen vor und hielt eine kurze Ansprache, ebenfalls der damalige Bürgermeister Nödel. Der Männerchor sang das Lied: „Ich hart' einen Kameraden", der Gemischte Chor (Männerchor und obere Schulklassen): „Schweige still". „Das vom Männerchor vorgetragene Lied: ,Sei still' machte auf die Zuhörer einen tiefen Eindruck. Im Schlußwort betonte Herr Pfarrer Heisterhagen den Tiefstand unseres Vaterlandes und gab der Hoffnung Ausdruck, daß es einst doch wieder besser werden möge". Das Denkmal wird so beschrieben: „Der Stein ist aus Thüringer Muschelkalkstein hergestellt. Dieser ist hart und wetterbeständig. Das Scharrieren ist gewissenhaft gemacht und kommen die plastischen Punkte so recht voll und klar zum Ausdruck. Die Schrift ist rein und sauber. Über der selben sind zwei Stahlhelme und hessische Löwen eingemeißelt. Ein in stilvoller Weise ausgeführtes Eisernes Kreuz verleiht dem Denkmal einen würdigen Abschluß. Das Ganze bietet trotz seiner imposanten Höhe und architektonischen Schönheit ein Bild von Schlichtheit und Einfachheit. Die Ausführung des Steines ist vorzüglich gelungen und haben die Erbauer, die Herren Bildhauer Max Eichler und Eduard Timaeus -Cassel- gezeigt, wie ernst und gewissenhaft sie es mit ihrem Beruf nehmen, nicht Maschinenarbeit, sondern die edle Handwerkskunst soll wieder zur Geltung kommen."
Das Denkmal hatte 9.000 Mark gekostet, dazu kamen noch 910 Mark für die Fracht und die Aufstellung. 7.705 Mark waren durch Spenden aufgekommen und die Gemeinde hatte noch 1.200 Mark zugelegt, der Restbetrag wurde durch weitere Spenden gedeckt. In 1919 hatte bereits die Inflation begonnen, daher die hohen Beträge.
Dieses Ereignis, das nun schon 60 Jahre zurückliegt, gibt uns einen kleinen Einblick in die Mentalität unserer Väter und Großväter und wurde deshalb so eingehend behandelt
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